3 Ergebnisse der Musikerfragebögen

I Einleitung

Als erster praktischer Teil der Studie, erfolgt nun die empirische Untersuchung des "Marktangebots". Das Marktangebot bildet in diesem Sinne die "Gesamtheit der Unterhaltenden" in Bezug auf Jugendkultur, Pop- und Rockmusik. Folglich wurden aktiv Musik betreibende Künstler befragt, die sich entweder in einer Musikgruppe oder alleine (als Solokünstler sozusagen), der Musik widmen und ein gewisses Engagement in Hinblick auf Auftritte, Konzerte etc. aufweisen.

Die erste Frage, die sich bei einer solchen Erhebung stellt, ist: "Was will ich überhaupt messen, untersuchen, erheben?" Besser: "Welche Informationen über die betreffenden Musiker sind dienlich für eine sinnvolle Analyse der bestehenden Situation, der Probleme und im Hinblick auf die danach folgende Zielgruppenerhebung: Welche Verbesserungsmöglichkeiten und -vorschläge in Bezug auf Förderung (finanziell als auch organisatorisch), Informationsmanagement und Popularisierung, bestehen von der Seite der Produzierenden?" Zunächst jedoch soll kurz dargestellt werden, wie vorgegangen und der Fragebogen aufgebaut wurde.

II Aufbau der Fragebögen

Will man einen Fragebogen für Musiker strukturieren muß man vor allem einen wichtigen Faktor berücksichtigen: die Zeit. Da zwischen Proberaumtür und Bandprobe nur ungern Zeit "verschwendet" wird, war das wichtigste Moment bei dem Aufbau des Fragebogens die Kürze. Da man trotz allem die wichtigsten Daten zur Einschätzung der Gruppe in Bezug auf Ambitioniertheit, Professionalität, finanzielle Lage etc. möglichst sicher erfassen wollte (mit Hilfe weniger Kontroll- und Filterfragen), mußte man einen Kompromiß schließen. Was dabei herauskam war ein ca. 10–15 Minuten lang dauernder, eineinhalb Seiten langer aber klein gedruckter Fragebogen, den wahlweise der entsprechende Musiker oder der Interviewer ausfüllen konnte. Einige wenige nahmen sich sogar Zeit den Fragebogen zu Hause, in aller Ruhe auszufüllen. Auf Puffer-, Überleitungs- und Eisbrecherfragen wurde aufgrund ihrer mangelnden Verwertbarkeit und mangelnder Zeit beim Interview verzichtet. Außerdem wurde auf die Ehrlichkeit der Interviewten gesetzt, in deren Interesse diese Untersuchung durchgeführt wurde. Bis auf wenige Fragen die die finanzielle Lage der Gruppe/des Musikers betrafen, gab es keine "richtigen" oder "falschen" Antworten, die die Auswertung verfälschen könnten, da nach Einstellungen oder Musikrichtung etc. gefragt wurde. Dies hatte auch zur Folge, daß einige Fragen (z. B. "Was wollt ihr mit eurer Musik aussagen?") offen, d. h. ohne Antwortvorgaben, gestellt wurden. Zwar fällt eine Auswertung der Antworten auf offene Fragen schwerer, da hier keine ausreichende Kategorisierung erfolgen kann, jedoch wurde dadurch die Erhebung nicht allzusehr beeinträchtigt, da eine eher qualitative Auswertung (statt quantitativ) stattfand (Wie will man z. B. wohl einen Mittelwert zwischen verschiedenen Musikrichtungen ermitteln?).

Insgesamt wurden 23 Gruppen und 14 Musiker (Solokünstler, Duos, Trios) befragt, was 37 auszuwertende Fragebögen ergab. Das entspricht etwa einem Achtel der Grundgesamtheit (geht man von 250–300 Gruppen im Stadtverband Saarbrücken aus). Somit ist eine gewisse Repräsentativität gewährleistet, da, wenn man davon ausgeht, daß auch in der Grundgesamtheit die Werte der ermittelten Parameter normalverteilt sind, mit einer 87 prozentigen Wahrscheinlichkeit die Werte (geht man von einem 95 prozentigen Konfidenzintervall aus) auf diese übertragbar sind. Anders ausgedrückt: Wenn man eine Varianz der ermittelten Werte von 5% zuläßt, stimmen die Ergebnisse der Stichprobe mit einer Wahrscheinlichkeit von ca. 87% mit den Werten überein, die man ermitteln würde, untersuchte man alle (' die Grundgesamtheit). Dies ist mehr als ausreichend für eine empirische Untersuchung.

III Allgemeine Daten

Die Endergebnisse der Untersuchung variieren nur marginal von den Zwischenergebnissen, die vor ca. einem Viertel Jahr präsentiert wurden. Man kann auch sagen die bisherigen Ergebnisse wurden bestätigt. Eine sinnvolle quantitative Auswertung ließen 6 Fragen zu, wobei bei den Grafiken 4, 5 und 6 die Daten nur von Gruppen aufgenommen wurden, also von einer Grundgesamtheit von 23 Fragebögen ausgegangen wird, da Solokünstler, Gitarrenduos etc. eine ganz andere Strukturiertheit aufwiesen und somit das Ergebnis verfälscht hätten (Bsp.: ein Solokünstler kann bis zu 5, 6 oder gar sieben Auftritte pro Woche haben [Irish Pub], bis auf wenige Ausnahmen beanspruchen und benötigen sie auch keine Proberäume sondern üben zu Hause, da keine erhebliche Lärmbelästigung auftritt).

a) Alter der Gruppe:

Grafik: Alter der Bands

An der Grafik erkennt man, daß es sich beim größten Teil der Gruppen nicht um "Eintagsfliegen" handelt, sondern, daß mehr als die Hälfte aller Gruppen (51%) schon länger als drei Jahre existieren, was auf eine Kontinuität, in Bezug auf das Engagement, der bestehenden Gruppen hinweist. Nur etwa ein Zehntel der Gruppen sind erst im letzten Jahr dazugekommen, was auch als ein eventueller Indikator für eine zunehmende Resignation junger MusikerInnen zu sehen ist, die vielleicht auch aufgrund der nicht sehr erfolgversprechenden Lage der Aktiven, nicht den mehr Mut haben sich aktiv an der Jugend- und Musikkultur zu beteiligen (Interpretationen siehe unten).

b) Durchschnittsalter der Mitglieder:

Grafik: Durchschnittsalter der Mitglieder:

Auch hier sieht man, daß die meisten aktiven MusikerInnen schon etwas älteren Semestern angehören und die Zahl der "jungen Jugendlichen" (16–19 Jahre) einen nur geringen Anteil (ca. 11%) der MusikerInnen haben. Weiterhin wurde bei der Auswertung der Fragebögen eine leichte Korrelation (ca. 0,73) der Werte für die Gruppen, die weniger als ein Jahr bestehen und dem Alter der Mitglieder festgestellt (Gruppen, die angaben seit weniger als einem Jahr zu bestehen, wiesen auch oft ein Durchschnittsalter zwischen 16 und 19 Jahren auf).

c) Mitgliederzahl:

Grafik: Anzahl der Mitglieder

Hierzu läßt sich nur sehr wenig schreiben, da diese Werte dazu dienten die durchschnittliche finanzielle Belastung des einzelnen zu berechnen.

d) Anzahl der Proben pro Woche:

Grafik: Anzahl der Proben pro Woche

An dieser und der folgenden Grafik wurde wieder die Ernsthaftigkeit der MusikerInnen an ihrem "Hobby" bestätigt. Gut über die Hälfte aller Gruppen proben mindestens zwei mal die Woche. Bedenkt man, daß eine Probe ca. zwischen 3 und 6 Stunden dauert, kann man hier von einer erheblichen Freizeitinvestition sprechen. Nur jede fünfte Gruppe nimmt die Sache eher "locker" und probt nur unregelmäßig.

e) Anzahl der Auftritte pro Jahr:

Grafik: Anzahl der Auftritte pro Jahr

Bildet man hier einen Mittelwert und rechnet ihn auf die Grundgesamtheit um, kommt man auf ca. 1900 Auftritte und Konzerte regionaler Gruppen pro Jahr. Dies entspricht pro Wochenende knapp 37 Veranstaltungen. Selbst wenn man von einem eher unrealistischen Schätzfehler von 50% ausginge, sind es immer noch fast 20 (auch darauf wird später noch näher eingegangen).

f) Größe des Proberaums:

Grafik: Größe des Proberaums

Hier wurde ein eher unerwartetes Ergebnis geliefert. Die Gruppen die einen Proberaum haben, können mit der Größe zufrieden sein. Die Zeiten, in denen in kleinen nassen Kellerlöchern geübt wurde scheinen vorbei zu sein. Allerdings schlägt sich dieser Luxus auch auf die Ausgaben, die im Folgenden aufgezeigt werden, negativ aus.

Weiterhin lassen sich Mittelwerte (sinnvoll) aus folgenden Daten berechnen (gerundet):

1. Durchschnittlich monatlich entstehende Kosten:

  • Proberaummiete und Nebenkosten: ca. 110,– DM
  • Instandhaltung von Instrumentarium und Proberaum: ca. 95.– DM
  • Organisation, Werbung und Sonstiges: ca. 120,– DM

2. Einmalige Investitionen für Instrumentarium: ca. 25.000,– DM

3. Monatliche Einnahmen durch "Merchandising" (Demoverkauf, etc.): ca. 45,– DM

4. Durchschnittliche Gagenforderung: ca. 750,– DM (Wenn Festgage vereinbart wird)

5. Durchschnittliche Besucherzahlen: ca. 100 (allerdings mit ziemlich großer Streuung)

6. Jede vierte Band ist verschuldet. Im Durchschnitt mit ca 10.000,– DM

Bei den Antworten auf die Fragen nach Auftrittszahl, Durchschnittsgage und Zuschauerzahl muß man allerdings davon ausgehen, daß diese aus Gründen der Eigenwerbung leicht übertrieben wurden.

Folgende offene und halboffene (mit diversen festen und einer offenen Vorgabe) Fragen wurden gestellt:

"Welche Erwartungen stellt ihr an eure musikalischen Aktivitäten?"
Hier wurde vor allem "Sinnvolle Freizeitgestaltung", "Spaß und Befriedigung" und "Ausgleich zu Beruf (Schule etc.)" angekreuzt. "Finanzielle Erwartungen" standen erst an vierter Stelle, da dies wahrscheinlich auch keine ausreichende Motivation zum musizieren geben kann.

"Was wollt ihr mit eurer Musik erreichen?"
Auch hier hatte der "finanzielle Nebenverdienst" nur eine untergeordnete Rolle, obwohl bei den meisten "Musiker als Berufswunsch" angegeben wurde. Einige wenige sahen in der Musik auch nur eine Freizeitgestaltung ohne weitere Ambitionen.

"Was wollt ihr mit eurer Musik aussagen?"
Die Aussagen und Kommentare die an dieser Stelle gemacht wurden sind nur sehr schwer auszuwerten, da viel zu verschiedene und individuelle Antworten gegeben wurden als daß eine sinnvolle Bewertung gemacht werden könnte. Trotzdem hier einige Zitate:

"Man sollte sozialkritisch leben."

"Mit Musik läßt sich nichts aussagen. Man kann nur gewisse Stimmungen (positiv oder negativ) erzeugen."

"Lebensgefühl."

"Spaß am Rock'n'Roll und allen Nebenerscheinungen."

"?"

"Musik ist Musik und Spaß macht Spaß."

"Was könnte man am Saarbrücker Rockbüro/was allgemein verbessern?"
Hier wurde vor allem das Gießkannenprinzip und die einseitige Förderung nur ganz bestimmter Gruppen kritisiert. Weiterhin wurde auf den mangelnden Informationsfluß zwischen MusikerInnen und Zielgruppe verwiesen. Auch mangelnde Auftrittsmöglichkeiten und der immer schwerer werdende Kampf neuer junger Gruppen sich zu etablieren wurde aufgeführt. Allgemein wurde auch die Proberaumsituation, die horenden Mieten (bis zu 450,– DM im Monat für durchschnittlich 25 m2) und das mangelnde Engagement von offizieller Seite bemängelt.

IV Analyse der Daten

Aus den oben genannten Daten kann man folgende Thesen bzw. Fragen herleiten:

1. Den typischen Musiker (die typische Musikerin) gibt es nicht. Das Spektrum (Musikrichtung und Ambitionen betreffend) ist sehr breit und eigentlich müßte für jeden der gerne Musik hört etwas dabei sein.

2. Die allgemeine Vermutung, daß Gruppen kommen und gehen, also nur einen sehr kurzen Bestand haben (und deshalb eventuell nicht förderungswürdig sind) wurde nicht bestätigt. Im Gegenteil wird das "Hobby" Musik wird von den meisten sehr ernst und mit Zielgerichtetheit (' professionelle Ebene) betrieben.

3. Die Altersstruktur der aktiven MusikerInnen ist allerdings bedenklich, da knapp zwei Drittel aller Beteiligten über 25 Jahre sind. Bedenkt man nun daß im Normalfall im Alter zwischen 15 und 25 Jahren angefangen wird Musik zu machen, und nur ca. jeder Zehnte Musiker unter 20 Jahren ist, stellt sich die Frage nach dem mangelnden Nachwuchs und wie man dem entgegenwirken könnte.

4. Bei (angeblich) ca. 35–40 Veranstaltungen pro Woche stellt sich die Frage nach dem Informationsmanagement, wenn man bedenkt, daß man, selbst wenn man sich informieren will, von vielleicht 5–10 erfährt. Selbst für einen Szenekenner ist es nicht möglich nur die Hälfte aller stattfindenden Veranstaltungen in Erfahrung zu bringen (Vgl. auch die nachfolgende Zielgruppenerhebung.)

5. Vergleicht man die Einnahmen und die Ausgaben die ein Musiker hat um seinem Hobby nachzugehen, erkennt man eine nicht zu übersehende Diskrepanz zu ungunsten der ersteren. Wird irgendwann vielleicht das Musizieren ein Luxus den sich nur noch wenige, besser gestellte leisten können (wie z. B. einige Sportarten)? Wie kann dem entgegengewirkt werden?

6. Nicht nur die finanzielle Perspektive veranlaßt zum nachdenken. Auch die Organisation, seien es Auftrittsmöglichkeiten oder Proberäume etc., weist erhebliche Mängel auf, die die Situation der jungen Musikerschaft verschlechtert.

7. Das Rockbüro (worauf schon im vorigen Punkt eingegangen wurde) stellt für die meisten Musiker ein zweischneidiges Schwert dar. Auf der einen Seite ist man froh, daß endlich einmal überhaupt etwas getan wird, auf der anderen Seite wird von einseitiger Förderung (unter der Hand sogar von Vetternwirtschaft) und Gießkannenprinzip gesprochen.

8. Nicht nur das Rockbüro, auch die Stadt wird kritisiert mit zweierlei Maß zu messen. Wie kann es sonst sein daß gewisse Gruppen schon seit Jahren (Jahrzehnten) immer wieder beim Stadtfest auf den Hauptbühnen zu sehen sind (wenn nicht auswertige Musiker ihr Können zeigen) und junge progressive Bands, wenn überhaupt, nur auf den Nebenbühnen zu den ungünstigsten Zeiten eine Möglichkeit erhalten zu spielen.

V Interpretation der Ergebnisse

Die Analyse der gewonnenen Daren weißt auf einige Probleme hin, die im Bezug auf Förderung, Gestaltung oder Informationsmanagement etc. an Bedeutung gewonnen haben. Wie schon im voherigen Teil erwähnt, stehen vor allem Organisation und Finanzierung im Vordergrund. Aber auch Probleme wie der vielleicht entstehende Nachwuchsmangel spielen eine entscheidende Rolle. Sollte etwa auch in Musikerkreisen eine zunehmende Veralterung (wie in der übrigen Gesellschaft) eintreten?

Der Ruf nach einer zentralisierten Informationsverwaltung, in Form etwa eines vierzehntägig erscheinenden "amtlichen" Veranstaltungskalenders oder öffentlichen zentralen Einrichtungen zum Erfahrungsaustausch, musizieren etc., wird immer lauter. (Hierauf wird später bei "Alternative Formen der Rockförderung" noch näher eingegangen.) Die Frage nach dem Bedarf braucht, glaube ich, nicht mehr gestellt zu werden. Auch wird in der nachfolgenden Zielgruppenerhebung deutlich daß auch eine Nachfrage unter den Zuhörern besteht, jedoch diese zur Zeit nicht ausreichend gedeckt wird.