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Universität des Saarlandes »Bewertungen in Musik-Kritiken«vorgelegt von: Inhalt
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1. EinleitungDie gesellschaftliche Relevanz von Kritiken, seien es Theater-, Konzert- oder CD-Kritiken, scheint in erster Linie darin zu liegen, eine Hilfe für eventuelle Verkaufsentscheidungen zu bieten. So wäre anzunehmen, daß positive Kritiken die Verkaufs- oder Besucherzahlen steigern und negative Kritiken umgekehrt diese negativ beeinflussen. Wirft man aber einen genaueren Blick auf das Musikgeschäft, so stellt man schnell fest, daß heutzutage Kritiken in schriftlicher Form das Kaufverhalten nicht wesentlich beeinflussen. Während Theateraufführungen und Konzerte noch eher wegen der regionalen Begrenztheit und den überschaubaren Zuschauerzahlen auf Zeitungskritiken angewiesen sind, hat im Musikgeschäft längst die industrielle Vermarktung andere Absatzwege gefunden. Neben der Auswahl- und Entscheidungshilfe scheinen also andere Kriterien die Funktion von Musikkritiken zu bestimmen. In dieser Arbeit soll der Frage nachgegangen werden, welche Funktionen Musikkritiken haben können und welche Aufgabe insbesondere den Bewertungen zukommt. In der Beschreibung des Textmusters »Musikkritik« geht es sowohl um linguistische Fragen der Realisierung von Bewertungen als auch um soziologische bzw. soziolinguistische Fragen nach Funktionen und Wirkungen. In einem ersten Teil soll das Textmuster Musikkritik allgemein beschrieben werden. Dazu gehört neben der Begriffsbestimmung eine Beschreibung von typischen Formen, Kanälen und Medien sowie allgemeinen Funktionen und Bausteinen. Im zweiten Teil sollen dann Art und Funktion der verwendeten Bewertungen in Musikkritiken analysiert werden. |
2. Zum Textmuster Musikkritik2.1 BegriffsbestimmungIn Abweichung vom alltagssprachlichen Gebrauch unterscheidet Gernot Stegert »zwischen der Rezensionen als Beitrag bzw. Beitragsform und der Kritik als sprachlicher Handlung, die als funktionaler Baustein in Rezensionen, aber auch in alltäglichen Gesprächen, in Romanen, Gedichten, Sachbüchern, in Interviews, vielen historischen Beiträgen usw. vorkommen kann.« [1] Da der Ausdruck »Kritik als sprachliche Handlung« dem Ausdruck »Bewerten als sprachliche Handlung« entspricht, sollen im Folgenden die Begriffe »Rezension« und »Kritik« synonym gebraucht werden, zumal ersterer im Zusammenhang mit Musik eher ungebräuchlich ist. Der Vollständigkeit halber sei noch erwähnt, daß im journalistischen Bereich zumeist der Ausdruck »Besprechung« verwendet wird, um der leicht negativen Konnotation von »Kritik« aus dem Wege zu gehen. Unter einer Rezension sollen nun allgemein »all jene Medienkommunikationen, die aus einer unbestimmten Menge bestimmter kommunikativer Handlungen bestehen« [2] , verstanden werden. Das heißt, es gibt bestimmte kommunikative Handlungen des Rezensierens, von denen eine unbestimmte Menge ausgeführt werden muß. Das Vorkommen eines bestimmten Bausteins allein ist noch kein Indiz für das Vorliegen einer Rezension. Stegert unterscheidet zwischen zwei Arten von Bausteinen:
2.2 Typische Formen von MusikkritikenDer Prototyp der Musikkritik ist die Aufführungskritik, genauer gesagt: die Kritik eines Konzerts der sogenannten [7] »klassischen« Musik, die für gewöhnlich im Feuilleton einer Tageszeitung abgedruckt ist. Oftmals ist in der Literatur eine solche Form der Kritik gemeint, wenn von »Musikkritik« die Rede ist, was nicht sehr verwundert, wenn man bedenkt, daß die Rezension klassischer Konzerte die einzige Form der Musikkritik ist, die auf eine jahrhundertealte Tradition zurückblickt. Wenn man den Blick etwas weiter öffnet, lassen sich zwei prototypische Formen der Musikkritik ausmachen:
Der Vorteil des Prototypenkonzepts ist, daß sich somit auch Zwischenformen und Randphänomene erfassen lassen, die sich ansonsten schlecht in ein definitorisches Raster einfügen würden. Ein Beispiel für ein solches Randphänomen wird in Kapitel 2.6 erläutert. 2.3 Kanäle und MedienMusikkritiken werden über die folgenden Kanäle und Medien realisiert:
2.4 Funktionen/Sozialer SinnDas Textmuster »Rezension« stellt die Lösung eines gesellschaftlichen Standardproblems dar und hat damit einen sozialen Sinn. [9] Man kann auch sagen, die Rezension erfüllt bestimmte gesellschaftliche Funktionen:
2.5 Zu den BeispielenUm auch auf Details eingehen zu können und um eine gute Vergleichbarkeit zu ermöglichen, sind die Beispiele auf CD-Kritiken von Pop-Musik beschränkt. Derartige Kritiken sind nicht allzu schwer zu finden, da sie zum festen Bestandteil zahlreicher Zeitschriften, Zeitungen, Zeitungsbeilagen etc. gehören. Die CD-Kritiken wurden aus den folgenden Zeitschriften ausgewählt:
2.6 Bausteine/TeilhandlungenIm Folgenden werden Bausteine oder Teilhandlungen des Textmusters »CD-Kritik« vorgestellt und an Beispielen verdeutlicht. Da die Menge der möglichen fakultativen Teilhandlungen praktisch unbegrenzt ist, erhebt diese Auflistung keinesfalls den Anspruch der Vollständigkeit. Die Teilhandlungen werden in der Reihenfolge aufgeführt, in der sie in der prototypischen CD-Kritik wahrscheinlich erscheinen würden. 1. Informationen Die folgenden Bausteine/Teilhandlungen informieren und belehren. Fast jede dieser Teilhandlungen kann jedoch auch ein Bewerten implizieren. Informationen zum Medium
Informationen zum Künstler und zum Werk
2. Formale Bausteine Dies sind die typischen Elemente eines Presseartikels. Sie unterscheiden die Musikkritik von anderen Formen der Musikbewertung. Baustein 1.a könnte man ebenfalls unter dieser Überschrift einordnen.
3. Bewertung Die Bewertung ist stets funktional, da sie dazu geeignet ist, einen journalistischen Text über Musik als Rezension zu klassifizieren.
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3. Bewerten in Musikkritiken [24]Daß, wie in den vorangegangenen Kapiteln erläutert, in Musikkritiken neben der Bewertungsfunktion auch die Unterhaltungsfunktion, Profilierungsfunktion etc. eine gewichtige Rolle spielen, führt dazu, daß ein eher essayistischer Schreibstil vorherrscht und man explizite Angaben zu Bewertungsaspekten, -maßstab, Gewichtung etc. oft vergeblich sucht. Mit ein wenig Detektivarbeit d.h. durch Auflösen der Implikationen kann man jedoch indirekte Hinweise finden. 3.1 BewertungsgegenstandDer Bewertungsgegenstand einer Musikkritik umfaßt mit Sicherheit das akustische Ereignis, kann aber (vor allem bei Konzertkritiken) auch außermusikalische Aspekte umfassen. So wird bei CD-Kritiken gelegentlich auch Aufmachung und Verpackung bewertet. Im Prinzip können alle mit dem Produkt verknüpfbaren Aspekte zu Bewertungsgegenständen werden: »Das Ding [Verpackung, Anm. d. Aut.] ist noch idiotischer als der Album-Titel, mit dem sie ganz vorne liegen im diesjährigen Rennen um den Fiona-Apple-Preis für den dämlichsten Titel zu einem guten Album« [25] Man könnte natürlich »Verpackung «, »Albumtitel« etc. auch unter Bewertungsaspekte einordnen. Tatsächlich sind die Grenzen zwischen Bewertungsgegenstand und Bewertungsaspekt fließend und die Einordnung subjektiv. 3.2 BewertungsaspekteAls Bewertungsaspekte kommen die musikalischen Parameter wie Komposition, Arrangement, Klangfarbe/Sound, Virtuosität etc. in Betracht. Welche davon tatsächlich in der Kritik vorkommen, hängt von Faktoren wie Musikrichtung oder Zielgruppe ab. So fällt beispielsweise auf, daß nur in Rolling Stone auch auf die Liedtexte eingegangen wird, während in YAM und Brigitte dieser Bewertungsaspekt keine Rolle spielt. Für Karl Bruckmeyer ist zudem die Einbindung außermusikalischer Bewertungsaspekte in der Pop-Kritik wesentlich: »Pop handelt von Zeichen und ihren Wirkungen. Pop ist die Kunst der Oberflächen: Wie könnte da feuilletonistisches Tiefschürfen zu einem brauchbaren Ergebnis kommen. Oder musikwissenschaftliches Trara Mit anderen Worten: Ob jemand technisch versiert sein Instrument bedient, kann im Einzelfall wesentlich unwichtiger sein als die Farbe seiner/ihrer Baseballmütze. Und umgekehrt!« [26] In der Kritik von Wolfgang Doebeling [27] (Abbildung 4) lassen sich folgende Bewertungsgegenstände ausmachen:
Keine Rolle spielen für das Bewertungssubjekt z.B. Aussehen des Covers oder Qualität der Songtexte. Die Ausführlichkeit der Informationen zu der Person, der Musik und der Wirkung der Musik geben Hinweise auf die Gewichtung der Bewertungsaspekte, wobei keine explizite Hierarchisierung der Aspekte vorgenommen wird. 3.3 Gewichtung der EinstufungsergebnisseDie Gewichtung der Einstufungsergebnisse untereinander wird in der Regel nicht ausformuliert. »In den Rezensionen ist es nun häufig so, daß solche Gegenüberstellungen nicht zu einem Gegeneinanderaufwiegen der Einzelurteile führen; dem Leser wird dann nur mitgeteilt, daß diese Licht- jenen Schattenseiten gegenüberstehen.« [28] Die tatsächliche Gewichtung der Einstufungsergebnisse kann der Leser möglicherweise aus dem Gesamturteil (bzw. der Punktewertung) rekonstruieren. 3.4 BewertungsmaßstabAuch den Bewertungsmaßstab muß sich der Leser in der Regel selbst erschließen. Er ist ableitbar etwa über den Adressatenkreis der Zeitschrift oder die Kenntnis des Autors der Kritik. Wenn in Brigitte rechts oben ein Portraitfoto des Autors abgebildet ist, so erfüllt dies zunächst einmal die Profilierungsfunktion, gleichzeitig signalisiert das wohlfrisierte Erscheinungsbild und das Alter des Autors der Adressatin der Zeitschrift, daß wohl auch der Bewertungsmaßstab des Abgebildeten von dem ihren nicht allzu divergierend sein kann. Vor allem in YAM kann der Bewertungsmaßstab aus kausalen Zusammenhängen erschlossen werden, die entweder sprachlich als Wenn-Dann-Beziehungen ausgedrückt sind oder als solche rekonstruiert werden können:
Für den Kritiker im Beispiel (Abbildung 4) scheint ein wichtiger Bewertungsmaßstab die Musik zu sein, die die Künstlerin vor ihrer aktuellen Platte gemacht hat. Ausdrücke wie »kopiert einmal mehr nur Sade« [31] , »nichts scheint sich je zu ändern« [32] , »erweist sich ein weiteres Mal resistent gegenüber Moden und Mätzchen« [33] , »ergeht sich in gewohnt lasziver [...] Langsamkeit« [34] , »Konstanz und Kontinuität «, »Old-School-Sade« weisen darauf hin. Die fehlende Innovation wird negativ bewertet, darauf verweisen Sprachhandlungen wie BEDAUERN (»Schade: die zeitlos aparte Lounge-Diva kopiert einmal mehr nur Sade.« [35] ), das Adverb »nur« und die abschließende Sprachhandlung ABRATEN vom Kauf (»Wieviele Sade-LPs braucht der Mensch« Vier? [...] Mehr aber ganz bestimmt nicht.« [36] ) Die zugrundeliegende Wertvorstellung ist Innovation als Positivum. Dafür spricht auch die positive Bewertung von »Immigrant«, der als »hochpolitischer Cut Risse im sorgsam gepflegten Image des [...] Smooth Operator« [37] hinterläßt. Eigenschaften wie Beständigkeit und gleichbleibende Qualität, die in anderen Kontexten durchaus positiv konnotiert sein können, werden zugunsten von Neuartigkeit und Mut zum Außergewöhnlichen abgelehnt. Desweiteren werden Nähe und Eindringlichkeit positiv bewertet: »Nur 'The Sweetest Gift' geht nahe, ist mehr als gefühlsneutral. Sade ungeschützt, nur zwei Minuten lang, zwischen sich und der Neugierde des Zuhörers nur eine einsame Akustik-Gitarre, deren defensives Pling-Pling bohrende Blicke in entlegenere Herzwinkel nicht zu verstellen vermag.« [38] Gefühlsneutralität ist für den Kritiker keine positive Eigenschaft. Aufgrund der Ablehnung bestimmter Eigenschaften lassen sich die Wertvorstellungen des Autors rekonstruieren. 3.5 Bewertende SprachhandlungenZu den typischen bewertenden Sprachhandlungen gehören LOBEN und KRITISIEREN, die wiederum Grundlage sind für Sprachhandlungen wie ABRATEN, ANRATEN. Auch IRONISIEREN, BEMITLEIDEN, BEWUNDERN etc. stellen bewertende Sprachhandlungen dar. Zwischen den einzelnen Sprachhandlungen lassen sich indem-Zusammenhänge feststellen. So kann man z.B. KRITISIEREN indem man IRONISIERT (»Wie schön schwelgen die Violas und Celli, wie dezent pluggern die Synthesizer, wie geschmackvoll greift Joe in die Tasten« [39] ) oder indem man BEMITLEIDET (»Armer, alter Joe« [40] ). Da, wie bereits erwähnt, für Musikkritiken ein essayistischer Schreibstil typisch ist, finden sich selten performative Verben, wie z.B. »ich lobe die CD... «, »ich rate zum Kauf... «. Es finden sich aber oft konventionelle Ausdrucksmöglichkeiten für LOB und KRITIK. Zum typischen sprachlichen Bewertunsgsinventar gehören z.B. Superlative (»... das viele für sein bestes halten ... Amerikas bestes Songwriterehepaar« [41] ), bewertende Adjektive (»wundervoll«, »gelungen«, »legendär« [42] ), Substantive (»Hit«, »Glanzstück« ) [43] und Verben (»schmücken «, »überraschen«, »grooven« ) [44]. Zur »guten Schreibe« in Musikkritiken gehören aber auch unkonventionelle Ausdrücke und Wendungen. [45] Je nach Adressatengruppe werden mit einem solchen Schreibstil ästhetische Bedürfnisse befriedigt (Genuß am Sprachspiel, an der außergewöhnlichen Wendung), soziolektale Identifikationsmöglichkeiten geschaffen (Jugendsprache, In-Group-Slang), außerdem kann sich der Schreiber als wortgewandter und witziger Kenner profilieren. 3.6 Bewerten durch BeschreibenDie Teilhandlung des Beschreibens wird häufig gleichzeitig mit der des Bewertens ausgeführt [46], wenn die verwendeten Begriffe positive oder negative Konnotationen enthalten, was zum Teil in äußerst subtiler Weise geschieht: »Heute sind es Stadthallen und Opern in denen Joe Jackson seine Kunstfertigkeit zeigt, im Foyer gibt es Prosecco. Ganz früher war Joe ein Punk und hasste Bäume.« [47] Die Begriffe »Stadthalle «, »Oper «, »Prosecco« und »Kunstfertigkeit« sind für sich betrachtet nicht negativ konnotiert (eher im Gegenteil), während man mit Begriffen wie »Punk« und »hassen« selten Positives verbindet. In dieser biographischen Information zu Joe Jackson werden die Begriffe jedoch so gegenübergestellt, daß sie eine negative Bewertung von Joe Jacksons Musik ergeben, indem implizit dem Künstler Anbiederung an das kulturelle Establishment vorgeworfen wird. 3.7 HerantragenDurch das Herantragen von Topoi, die zunächst einmal nichts oder nur wenig mit dem Bewertungsgegenstand zu tun haben, wird dieser in einen positiven oder negativen Kontext gesetzt. Sehr beliebt ist es etwa, durch den Verweis auf die Erfolge eines Künstlers eine positive Grundstimmung zu erzeugen (wobei eine solche Aufzählung selbstverständlich auch die Teilhandlung »Informieren« darstellt.) Bei Brigitte und YAM ist dieser Verweis geradezu obligatorisch, so daß bei fehlenden eigenen Erfolgen schon mal der Erfolg einer anderen Band herhalten muß: »Kürzlich haben es die Jungs von HIM europaweit mit 'Join Me' auf Platz eins der Charts geschafft, jetzt schicken sich The Crash an, es ihren Landsleuten gleichzutun.« [48] Wenn beispielsweise an dem Bruce-Springsteen-Tribut-Album »Badlands« »Amerikas bestes Songwriter-Ehepaar« [49] beteiligt ist, so bleibt beim flüchtigen Lesen der bewertungsrelevante Ausdruck »bestes« in Erinnerung und wird mit dem Bewertungsgegenstand in Verbindung gebracht, bei genauerem Lesen stellen sich jedoch die Fragen, wieviele Songwriter-Ehepaare es wohl sonst noch gibt und was die songwriterischen Qualitäten wohl zu einem Album beitragen können, auf dem ohnehin nur interpretiert wird. 3.8 Die gute SchreibeGuter Schreibstil dient der Profilierung des Autors und des Medienorgans sowie der Leserbindung und Unterhaltungsfunktion. »Die Musikkritiker gelten häufig als die Poeten unter den Kulturjournalisten, (allzu) blumige Formulierungen findet man bei ihnen besonders oft. Wer kaum Möglichkeiten hat (von Oper einmal abgesehen), Szenen zu beschreiben wie etwa die Film- und Theaterkritiker, muß eben mit der eigenen Phantasie nachhelfen. Und wenn die sich dann meist aus Begeisterung verselbständigt, liest man Sätze wie diesen: Von der Schönheit Schubertscher Melodie zog er die Maske ab. Unter ihr schwelte das gefährlichste Feuer; es erhitzte sich mit jedem Takt, der in ferne Seligkeiten ausschweifenden Klavierkantilene mehr und so stark, bis wieder nächtlicher Phantasieblitz, im Brendelschen Akkordanschlag von weltvernichtendem Strahl, zur reinigenden Entladung kam.« [50] Der Hang zur »Poesie« in der Musikkritik ist eng verknüpft mit den beschriebenen Funktionen der Rezension:
Diese vier Funktionen werden mit rhetorischen Mitteln oftmals gleichzeitig erfüllt. Ähnlich wie im oben von Claus Spohn aufgeführten Beispiel versucht sich Wolfgang Doebeling an einer musikalischen Beschreibung ohne Fachtermini, mittels Metapher, Vergleich, Ellipsen, Alliterationen, Synästhesie und dergleichen mehr (und schießt dabei möglicherweise etwas über das Ziel hinaus). Gleichzeitig wird durch eine derartig »schöne« Sprache der Leser erfreut und das schreiberische Profil des Autors geformt. Zudem kann man davon ausgehen, daß der Autor durch die Verwendung solch ästhetischer und emotionaler Sprache die Musik positiv bewertet. »Ein subsonisches, sinistres Rollen, die Rhythmen wie auf der Flucht vor dem guten Geschmack und anderen Paragraphen, die Orgel auf Talfahrt, sich überschlagend, heulend, wimmernd, die Gitarren blechern und konvulsiv, der Sänger mal manisch, dann wieder in dunkler Trance, fast tonlos, die Songs sämtlich aschfahl, ihre Synapsen zuckend, die Worte klamm und beklemmend. Kaltes Fieber.« [59] Durch ironische Redeweise erfüllt das folgende Beispiel die Funktionen von Unterhaltung und Profilierung. Gleichzeitig dient es der Bildungsfunktion, indem wir erfahren, daß Roger Waters eine Live-CD mit alten Hits veröffentlicht und daß er in jüngster Zeit keine Hits mehr hatte. Außerdem wird das Werk bewertet, indem vermittelt wird, es handele sich um eine CD, die niemand hören möchte. »Ja genau das wollten wir kurz vor Weihnachten noch einmal hören: Roger Waters, wie er all seine alten Hits schon wieder live singt, weil er ja keine neuen hat.« [60] Weitere Beispiele, die eine oder mehrere der genannten Funktionen erfüllen:
3.9 Erfüllung der Unterhaltungsfunktion und Profilierungsfunktion (Leserbindung)3.9.1 durch Personalisierung (Human-Interest-Bereich):Eine wichtige Rolle bei Zeitschriften spielt der sogenannte »Human-Interest-Bereich «, das heißt der Autor versucht durch Personalisierung eine besondere Anteilnahme beim Leser zu erzeugen. Auffallend ist, daß auch bei Werken musikalischer Kollektive (wie im folgenden Beispiel die CD der Band »Limp Bizkit« ) zumeist eine Person näher vorgestellt wird. Die Personalisierung erfüllt die Unterhaltungsfunktion und die Profilierungsfunktion. »Es gibt Leute, die Fred Durst hassen, weil er ein loses Mundwerk hat. Andere hassen ihn für seine HipHop-Posen, wiederum andere dafür, dass er den Stand der Hutmode des weißen Mannes um 20 Jahre zurückgeworfen hat. Die meisten aber hassen ihn, weil er Fred Durst ist. Und das findet er gut so. Wie viele andere aufdringliche Rock'n'Roll-Kreischer vor ihm, nehmen wir Axl Rose, Courtney Love oder Billy Corgan, ist Durst nicht halb so bescheuert, wie er uns glauben macht, und nicht halb so unmusikalisch, wie er sich selbst sieht. Man kann über ihn nicht einmal sagen: Wäre er nicht so eine schreckliche Nervensäge, dann wäre er ganz großartig. Denn das ist es ja, worin er großartig ist: Ein grässlicher Nervtöter zu sein. Anders als den oben Genannten aber gelingt es ihm, dabei immer witziger zu werden. Und wenn seine Band so richtig los legt, dann ist Fred Durst ein echter Rockstar.« [66] 3.9.2 durch Manifestation eines gemeinsamen Hintergrundes (Politik, Fernsehen, Kino, Insiderwissen)Auch falls der Leser beim Name Dropping kaum eine der genannten Personen kennen sollte, so bekommt er doch das Gefühl vermittelt, Teil eines Insiderkreises zu sein. Zudem kann der Autor damit einen Ruf als Kenner der Szene aufbauen. »Da wäre als erstes, dass auf »Zweilicht« (Kantes zweiter Platte) eine Hälfte von Blumfeld spielt: Bassist Peter Thiessen, hier Sänger und Gitarrist, und Keyboarder Michael Mühlhaus, der als Gast mitläuft. Unter Vertrag ist die Band beim Label Kitty-Yo, dessen Chef wiederum Patrick Wagner von Surrogat ist so kommt eins zum anderen.« [67] Ähnliches gilt für die Verwendung von Fach-/Szenesprache, obgleich dies im Widerspruch steht zur Forderung nach Verständlichkeit. »Satte Breakbeats über einer groovenden Hookline und ein funky Refrain machen den Song zum Hit!« [68] Einen gemeinsamen kulturellen Hintergrund vermittelt das folgende Beispiel: Ohne weitere Erläuterungen nennt der Autor zwecks Bewertung und Beschreibung »Scully«, die Hauptfigur der Fernsehserie »Akte X«. Er demonstriert so, daß er über den selben kulturellen Background verfügt wie seine Leser und deutet gleichzeitig damit an, daß auch sein Bewertungsmaßstab vermutlich ähnlich dem seiner Leser ist: »und Sade singt, wie Scully spricht: leise, verhalten, prononciert.« [69] 3.9.3 durch effektvolle Überschrift oder Einstieg:Nicht nur auf der ersten Seite von Zeitungen und Zeitschriften, die am Kiosk ausliegen, sind effektvolle Einstiege und Überschriften wichtig. Auch wenn die Zeitschrift bereits gekauft wurde, muß weiterhin zum Lesen animiert werden, denn nur eine Zeitschrift, die auch zum großen Teil gelesen wird, wird auch ein weiteres Mal gekauft. Gleichzeitig dienen diese Elemente auch der Unterhaltungs- und der Profilierungsfunktion. Einstieg: »Mannheim ist das neue Jerusalem und der heilige Berg Zion liegt neuerdings auf dem Heidelberger Königsstuhl« [70] |
5. LiteraturverzeichnisPrimärliteraturBartels, Stefan: »Musik, Kulturmagazin« in »Brigitte« 1/2001, Seite 73, Hamburg 2001 Diederichsen, Diedrich: »1500 Schallplatten 1979-1989 «, Köln 1989 Doebeling, Wolfgang: »Sade Lovers Rock« in Rolling Stone 12/2000, Seite 78, Hamburg 2000 Doebeling, Wolfgang: »The Flaming Stars A Walk On The Wired Side« in »Rolling Stone« 1/2001, Seite 88, Hamburg 2001 Doebeling, Wolfgang: »Yngwie Malmsten War To End All Wars« in »Rolling Stone« 12/2000, Seite 79, Hamburg 2000 »Der Schallplattenmann sagt Das aktuelle CD- und LP-Magazin «, http://www.schallplattenmann.de, 22.08.2001 Fuß, Birgit: »Roger Waters In The Flesh« in »Rolling Stone« 1/2001, Seite 89, Hamburg 2001 Fuß, Birgit/ Pohl, Gerrit: »Short Cuts« in Rolling Stone 12/2000, Seite 81, Hamburg 2000 Hentschel, Joachim: »Kante Zweilicht« in »Rolling Stone« 1/2001, Seite 88, Hamburg 2001 Klotz, Jan: »Söhne Mannheims Zion« in »Rolling Stone« 1/2001, Seite 80, Hamburg 2001 Kreft, Mathias: »Hotel Costes Etage 3« in »Rolling Stone« 1/2001, Seite 80, Hamburg 2001 Sheffield, Rob: »Limp Bizkit Chocolate Starfish & the Hot Dog Flavored Water« in »Rolling Stone« 12/2000, Seite 7172, Hamburg 2000 Willander, Arne: »Joe Jackson Night And Day II« in »Rolling Stone« 1/2001, Seite 78, Hamburg 2001 SekundärliteraturBruckmaier, Karl: »Exkurs: Popkritik im Feuilleton« in Heß, Dieter: »Kulturjournalismus. Ein Handbuch für Ausbildung und Praxis «, München, Leipzig 1992, Seite108120 Böheim, Gabriele: »Zur Sprache der Musikkritiken. Ausdrucksmöglichkeiten der Bewertung und/oder Beschreibung« in Holzwer, Johann/ Jonas, Monika/ Moder, Hans/ Schleichl, Sigurd Paul/ Siller, Max (Hrsg.): »Insbrucker Beiträge zur Kulturwissenschaft «, Germanistische Reihe, Band 33, Insbruck 1987 Ripfel, Martha: »Was heißt bewerten?« in »Deutsche Sprache« 15/1987, Seite 151177 Stegert, Gernot: »Filme rezensieren in Presse, Radio und Fernsehen «, München 1993 Sandig, Barbara: »Formulieren und Textmuster Am Beispiel von Wissenschaftstexten« in: Jakobs, E.-M/Knorr, D. (Hrsg.): »Schreiben in den Wissenschaften «, Frankfurt am Main u.a., Seite 2544 Spahn, Claus: »Musikkritik« in Heß, Dieter: »Kulturjournalismus. Ein Handbuch für Ausbildung und Praxis «, München und Leipzig 1992, Seite 101108 Stürmer, Anette Oberhauser, Stephan/ Herbig, Albert/ Sandig, Barbara: »Bewerten und Bewertungsinventar: Modellierung und computergestützte Rekonstruktionsmöglichkeiten« in »Deutsche Sprache« 3/1997, Seite 272288 Zillig, Werner: »Textsorte Rezension« in: Detering, Klaus/ Schmidt-Radefeld, Jürgen/ Sucharowsk, Wolfgang (Hrsg.): »Sprache erkennen und verstehen. Akten des 16. Linguistischen Kolloquiums Kiel 1981 «, Band 2, Tübingen 1982, Seite 197208 |
Anhang 1Anhang 2Anhang 3-> »Rolling Stone« 01/2001, Seite 78 |
[1] Stegert 1993, Seite 22/23 [2] Stegert 1993, Seite 14 [3] vgl. Stegert 1993, Seite 14 [4] vgl. Sandig 1997, Seite 29/30 [5] vgl. Sandig 1997, Seite 29/30 [6] vgl. Kapitel 2.6 [7] Der Terminus »klassische Musik« ist aus (musik-)wissenschaftlicher Sicht nicht ganz korrekt, da er für die Kunst-Musik einer bestimmten Epoche reserviert ist. [8] vgl. Böheim 1987, Seite 125 und Spahn 1991, Seite 101 [9] vgl. Sandig 1987, Seite 28 [10] vgl. Stegert 1993, Seite 2829 [11] vgl. Stegert 1993, Seite 2930 [12] vgl. Stegert 1993, Seite 3032 [13] vgl. Stegert 1993, Seite 3233 [14] Stegert 1993, Seite 32 [15] Stegert 1993, Seite 33 [16] vgl. Stegert 1993, Seite 3334 [17] Stegert 1993, Seite 33 [18] vgl. Stegert 1993, Seite 3435 [19] vgl. Stegert 1993, Seite 3536 [20] vgl. Stegert 1993, Seite 3637 [21] vgl. Bruckmaier 1992, Seite 112, Spahn 1992, Seite 104 und Zillig 1982, Seite 204 [22] Bruckmaier 1992, Seite 112 [23] vgl. Spahn 1992, Seite 104 [24] vgl. Ripfel in Deutsche Sprache 15/1987 und Stürmer/Oberhauser/Herbig/Sandig in Deutsche Sprache 3/1997, Seite 272280 [25] Sheffield in Rolling Stone 12/2000, Seite 71 [26] Bruckmayer in Heß 1992, Seite 110 [27] Doebeling in Rolling Stone 12/2000, Seite 78 [28] Zillig in Deterning u.a. 1981, Seite 204 [29] YAM 52/2000, Seite 20 [30] YAM 52/2000, Seite 20 [31] Doebeling in Rolling Stone 12/2000, Seite 78 [32] Doebeling in Rolling Stone 12/2000, Seite 78 [33] Doebeling in Rolling Stone 12/2000, Seite 78 [34] Doebeling in Rolling Stone 12/2000, Seite 78 [35] Doebeling in Rolling Stone 12/2000, Seite 78 [36] Doebeling in Rolling Stone 12/2000, Seite 78 [37] Doebeling in Rolling Stone 12/2000, Seite 78 [38] Doebeling in Rolling Stone 12/2000, Seite 78 [39] Willander in Rolling Stone 1/2001, Seite78 [40] Willander in Rolling Stone 1/2001, Seite78 [41] Bartels in Brigitte 1/2001, Seite 73 [42] Bartels in Brigitte 1/2001, Seite 73 [43] Bartels in Brigitte 1/2001, Seite 73 [44] YAM 52/2000, Seite 20 [45] vgl. Kapitel 3.8 [46] vgl. Böheim in Holzner u.a. 1987, Seite 278 [47] Willander in Rolling Stone 1/2001, Seite78 [48] Bartels in Brigitte 1/2001, Seite 73 [49] Bartels in Brigitte 1/2001, Seite 73 [50] Spahn in Heß 1992, Seite101 [51] Böheim in Holzner u.a. 1987, Seite 125 [52] Böheim in Holzner u.a. 1987, Seite 37 [53] vgl. Böheim in Holzner u.a. 1987, Seite 213ff [54] vgl. Böheim in Holzner u.a. 1987, Seite 266f [55] Doebeling in Rolling Stone 12/2000, Seite 78 [56] Doebeling in Rolling Stone 12/2000, Seite 78 [57] Doebeling in Rolling Stone 12/2000, Seite 78 [58] Willander in Rolling Stone 1/2001, Seite 78 [59] Doebeling in Rolling Stone 1/2001, Seite 88 [60] Fuss in Rolling Stone 1/2001, Seite 89 [61] Fuss in Rolling Stone 1/2001, Seite 89 [62] Kreft in Rolling Stone1/2001, Seite 80 [63] Doebeling in Rolling Stone 12/2000, Seite 79 [64] Fuß/ Pohl in Roliing Stone 12/2000, Seite 81 [65] Fuß/ Pohl in Roliing Stone 12/2000, Seite 81 [66] Sheffield in Rolling Stone 12/2000, Seite 71 [67] Hentschel in Rolling Stone 1/2001, Seite 88 [68] YAM 52/2000, Seite 20 [69] Doebeling in Rolling Stone 12/2000, Seite 78 [70] Klotz in Rolling Stone 1/2001, Seite 80 |
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