Bob Dylan, Ende der 70er Jahre

»Don’t look back.«


Mitte der Achtziger war ich sicher nicht auf Ballhöhe, was den neuesten, heißesten Scheiß anging, aber Dylan schien mir damals doch reichlich rückschrittig zu sein. Seine Berechtigung hatte er wohl eher aus einer musikhistorischen Sicht auf Popkultur, dachte ich damals. Schließlich tauchte er neben den Beatles, Jimi Hendrix und anderen Legenden in unserem Musikbuch für den Schulunterricht auf. Zu dem, was wir uns aus den Top 75 unseres Radiosenders auf unsere C-90-Chrombänder zogen, hatte es allerdings nichts zu sagen und Dylan tauchte dort auch nicht auf.

Ein erstes Aha-Erlebnis bedeutete gleichzeitig Dylans Durchbruch bei mir: der Dokumentarfilm zur 65er-England-Tour »Don't look back«. Ich glaube das ZDF strahlte ihn damals zu irgendeinem runden Geburtstag des Meisters, vermutlich dem fünfundvierzigsten, an einem Samstagabend aus, an dem Zippo seinen eigenen, vermutlich seinen sechzehnten Geburtstag feierte. Dylan erschloß sich mir, er war großartig, unglaublich, lässig, witzig, auffassungsschnell, schlagfertig, charismatisch und schlau. Er schien über den Dingen zu stehen, weit über den Dingen, und war doch jederzeit und überall präsent. Er strahlte Energie aus, brauchte offenbar keinen Schlaf, im Gegenteil: je mehr Input, um so besser. So etwas hatte ich noch nicht gesehen. Die Art und Weise wie er mit Interviewpartnern umging war verwirrend, arrogant und herausfordernd. Metakommunikation und Abgrenzung, vor allem Abgrenzung. Dylan schien zu sagen: »Du kannst in meine Show gehen und darüber schreiben, was Du willst, aber mich ausfragen und schreiben wer ich bin ...?« Bereits die Frage »Folksänger oder Popstar?« war anmaßend. Ohne sie gestellt zu haben, konnte sich der Journalist vom Time-Magazin bereits einen Satz heiße Ohren abholen. Die Presse, die Fans und niemand hatten ein Recht an seiner Person, nie wollte er ein »pawn in their game« sein. In welchem Spiel auch immer.

Wenn ich mir heute »Don't look back« anschaue, beschleicht mich die Überzeugung Kurt Cobain könnte noch leben, hätte er sich beizeiten diesen Streifen angesehen.

Bob Dylan 1974

So fing ich an mir Platten von Dylan zu kaufen. Eine der ersten muß »Live at Budokan« gewesen sein, die zwar nicht viel mit dem Dylan aus »Don't look back« zu hatte, die aber schon wegen der ziemlich süßlichen Version von »I want you« in mir arbeitete, da einem nicht entgangen war, daß es Mädchen gab, und zwar sogar welche, die man wollte. Und wenn man selbst von denen nicht gewollt wurde, hatte man ja immer noch das bitter anklagende »Dirge« von »Planet Waves«, wo es »I hate myself for lovin' you and the weakness that it showed« hieß und der Gefühlshaushalt war für den Hörer und für den Moment wieder in Ordnung. Die Nick-Hornby-Frage »Bin ich unglücklich, weil ich Platten höre oder höre ich Platten, weil ich unglücklich bin?« richtete sich nun offenbar auch an mich.

Bob Dylan 1979

Es folgten nun die Jahre in denen ich nach und nach die Klassiker des Meisters, vornehmlich aus den Sechzigern erwarb und mich bei Zippo über den aktuellen Output auf dem laufendem hielt. In einer Zeit, in der Scheiben wie »Knocked out loaded«, »Dylan & the Dead« und »Down in the Groove« erschienen, hätte man Dylan bisweilen gerne zur Schonung seines Gesamtwerkes zumindest in Rente geschickt. Dylans Auftritt in der United States Military Academy, der – wie Günther Amendt schrieb – Hochburg des US-Militarismus, an Dwight Eisenhowers hundertsten Geburtstages hätte gut in diese Zeit zwischen '85 und '88 gepasst, als einem Dylans Schaffen schon mal reichlich desolat vorkommem konnte. Zum Glück hatte Dylan vor diesem Auftritt am 13. Oktober 1990 im Jahr zuvor das wunderbare »Oh Mercy«-Album veröffentlicht, womit er so etwas wie eine Wiederauferstehung feiern konnte. Keine seiner Neuveröffentlichungen, die ich bewußt erlebt habe, hinterließ einen solchen Eindruck und drehte sich so oft auf meinem Plattenteller. Selbst Zeitgenossen, denen bis dahin nichts an Dylan lag, konnten sich mit einem Mal für diese Scheibe erwärmen. Außerdem hatte Dylan zuvor im gleichen Jahr mit den Travelling Wilburys aufblitzen lassen, was es heißt »wieder der Alte« zu sein. Wo es mit den All-Stars jedoch fröhlich rumpelte, ging es auf »Oh Mercy« um eine dunklere Seite in unserer political world, where teardrops fall and everything is broken. Läute schonmal die Glocken!

Bob Dylan 1965

In dieser Zeit zwischen '88 und '90 hatte sich bei mir geschmacklich ein radikaler Wechsel vollzogen, der zu erheblichen Plattenverkäufen bei meinem örtichen Second-Hand-Laden und kostspieligen Plattenkäufen, damals noch vor allem bei dubiosen Mail-Order-Betreibern führte. Auf einmal waren da die Pixies, Dinosaur Jr. und Hüsker Dü. Das war Rock'n'Roll. Keine Gefahr, daß man sich eine dieser Bands zusammen mit seinen Eltern bei »Wetten Daß« ansehen mußte. Sie klangen rauher, unmittelbarer und schienen in erster Linie für MICH da zu sein und nicht für die Käufer. So muß es vielen etwa zehn Jahre vorher mit Punk gegangen sein. Und so war es nicht verwunderlich, daß die oben genannten nicht selten unter dem Label »Postpunk« liefen. Und doch hatten diese Musiker Ihre Wurzeln auch und eben in alter amerikanischer Rockmusik und führten einen zurück zu Neil Young, Townes van Zandt, Gram Parsons und eben auch Bob Dylan. Genau das unterschied sie von den Punks erster Stunde, die mit alten Hörgewohnheiten brachen. Dylan blieb so einer der wenigen, der nicht meiner Säuberungsaktion im Plattenschrank zum Opfer fiel, sondern heute dort eine prominente Stellung genießt.

Bob Dylan

1993 war es wieder ein »Geburtstag« und wieder im Fernsehen, als es darum ging die »30th Anniversary Concert Celebration« zu begehen. Zu Dylans und seines Bühnenjubiläums Ehren versammelten sich zahlreiche Musikerkollegen, darunter Lou Reed, Neil Young, Eddie Vedder, Sinead O'Connor, Eric Clapton, Willie Nelson, The Band, George Harrisson, Tom Petty und Stevie Wonder und gaben ihre Versionen von Dylans Songs zum Besten. »Foot of Pride« von Lou Reed und »Masters of War« von Eddie Vedder gaben mir den Rest und bewiesen, wenn das überhaupt noch nötig war, was für ein unglaubliches Rohmaterial Dylan in den vergangenen Jahren geschaffen hatte.

Er selbst griff am Ende noch, in etwas gezwängt, das Stevie Wonder ihm wahrscheinlich rausgelegt hatte, äußerlich stark verschlissen zur Klampfe und sang mit einer Stimme, die mich an einen Wagen, der die gesamte Route 66 auf Felgen abfährt, denken läßt, »Song to Woody« und »It's allright, Ma'« und läßt mich mit dem glücklichen Wissen zurück, warum ich ihn verehre, ohne daß ich es sagen könnte. Zum abschließenden Medley mit den zahlreichen All-Stars steht er so unbeteiligt und regungslos im Getümmel grinsender, strahlender Rocksenioren, als sei er der verstörte Besucher einer Gerontopsychiatrie, daß man ihn einfach dafür lieb haben muß.

Bob Dylan

Zwei Jahre zuvor war die Triple-CD »The Bootleg Series Volume 1–3« erschienen, die neben vielen Perlen einen weiteren solchen Moment tiefen Wissens um Dylans Verehrungswürdigkeit beinhaltet: »Blind Willie McTell«. In den Strophen läßt Dylan zur Pianobegleitung lakonisch bis verabscheuend reine Beobachtungen von Szenarien an uns vorüberziehen, in denen es keinerlei Hoffnung, weder auf aktive Einflußnahme noch auf Veränderung, sondern nichts als Verfehlung und Scheitern gibt und die regelmäßig in der Feststellung »no one can sing the blues like Blind Willie McTell« münden. Der stete dunkle Fluß diese Stückes erhebt, so wie ich ihn höre, darüberhinaus, unausgesprochen für die knapp sechs Minuten seiner Dauer die Feststellung »no one can tell the truth like Bob Dylan« und macht ihn zum Besten was ich je gehört habe. Greil Marcus, der Autor von »Basement Blues« hat in »Der Mülleimer der Geschichte« zehn Seiten nur über diesen Song geschrieben. Darin stehen zwei Statements, die ich blind unterschreibe. Zur Person des Geburtstagskindes: Niemand kann heute sagen, wer Bob Dylan ist. Zum Titel »Blind Willie McTell«: Genau das ist es. Diese Töne sind das letzte Wort.

Michael Grundhever